Daniel Kannenberg

KULTURELLES UNBEHAGEN

Die Arbeiten von Daniel Kannenberg

Von Tina Sauerländer

Vitra trifft auf Voodoo. Wenn Daniel Kannenberg Nägel in einen Designerstuhl hämmert, scheint es wenig Absurderes zu geben. Dennoch liegen die beiden Welten dicht beieinander, da Zeremonien mit Puppen und Nadeln genauso wie Sitzmöbel – vom Herrscherthron bis zum Chefsessel – von Kultur, Gesellschaft und ihren Ritualen erzählen. Der Künstler richtet seine Bilder mit Gegenständen ein, die alltägliches Handeln widerspiegeln. Neben Stühlen zählen dazu auch Teppiche, Tapeten oder Lampen.

Seine meist dunklen, erdtonigen Räume besiedelt der Künstler mit Ganzkörperansichten absurder Maskenmenschen. Mies van der Rohe mit Tierskelettkopf macht es sich mit einer Zigarre demonstrativ auf einem Freischwinger gemütlich. Daniel Kannenberg verändert oftmals die Gesichter seiner Porträtierten. Masken tragen dabei eine Schlüsselrolle. Von afrikanischen Stammestänzen bis hin zum Karneval in Venedig sind sie eines der ältesten und am vielseitigsten kultisch und kulturell gebrauchten Objekte. Sie verschleiern und negieren persönliche Identität und lösen das Individuelle zu Gunsten sozial-gesellschaftlicher Strukturen auf. Sie versinnbildlichen ritualisierte Handlungen, die das menschliche Miteinander in einer Kultur ordnen, so wie es auch Einrichtungsgegenstände tun. Masken außereuropäischer Naturvölker finden sich im Oeuvre kubistischer Künstler und deren Beschäftigung mit Primitiver Kunst wieder. Mit ihrem Werk hat sich Daniel Kannenberg intensiv auseinander gesetzt. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatte der Kolonialismus des industrialisierten Europas eine verklärte Hinwendung zum scheinbar einfachen und natürlichen Lebensstil der Naturvölker zur Folge, der eine glücklichere Existenz zu verheißen schien.

Mit Tierköpfen, die Kannenberg nicht nur berühmten Köpfen sondern auch gefundenen Selfies aus Onlinedating-Plattformen aufsetzt, verweist der Künstler ironisch auf den natürlichen Instinkt und stellt die Frage nach der eigentlichen Triebfeder menschlichen Handelns: Natur oder Kultur? In Alltagsritualen, animalischen Verhaltensweisen, Pflanzenwachstum oder auch in Galaxien offenbaren sich wiederholende und ähnliche Muster innerhalb eines universellen, komplexen Systems. Aber sind solche Ausprägungen nur Zufall? Wie Kaffeeflecken auf chaotischen Schreibtischen? Oder gibt es eine grundlegende Formel? Mit solchen Fragen beschäftigt sich Daniel Kannenberg, denn es ist kein Zufall, dass Flecken sein gesamtes Oeuvre durchziehen. Auf der Suche nach Antworten richtet sich der Blick seit jeher auf das Licht der Sterne, die als weiteres Ordnungssystem im menschlichen Dasein dienen. Mit dem altägyptischen Sonnengott Re und der Vorstellung von Christus als Licht der Welt betrifft dies Religion genauso wie die astronomische Wissenschaft, von Mesopotamien bis hin zur Quantenphysik von Max Planck. Ohne Sterne gibt es keine zielsichere Seefahrtsroute und keinen Taschenkalender, der das tägliche Leben gliedert.

Alltag und das große Ganze bilden eine Einheit, auch wenn sie manchmal abwegig und widersinnig wirkt. Daniel Kannenbergs Arbeiten spielen auf dieses Verhältnis an, denn in seinen Bildern lässt sich nicht immer klar unterscheiden, ob das Licht von himmlischen Sternen oder von irdischen Glühbirnen herrührt. Gemeint ist beides. Als Teile einer Ordnung lassen sich auch die Bildräume Kannenbergs verstehen. Wände und Fußböden dienen als Versatzstücke der Wirklichkeit und stellen wiederkehrende, ritualisierte Elemente menschlichen Lebens dar. Verschachtelt und verschränkt lösen sie sich schließlich in einem fleckigen, braun-grauen Raum auf. Wie dunkle Materie verweist dieser auf eine unerklärliche Welt jenseits des Erfassbaren. Nicht nur die Raumteile sondern auch die sich auflösenden Raster in den Arbeiten von Daniel Kannenberg sind als begreifbare Formen innerhalb eines rätselhaften Universums anzusehen. Jedes Feld enthüllt einen einzigartigen Kosmos abstrakter Malerei – und symbolisiert zugleich sich wiederholende Muster. „Die Raster sind mit der Hoffnung auf Kalkulierbarkeit verbunden, die dem Zufall entgegensteht“, sagt Daniel Kannenberg. Die eingerichteten Räume und rituellen Alltagsobjekte sind ebenfalls Sinnbild für den Wunsch nach Berechenbarkeit.

In seinem 1930 veröffentlichtem Aufsatz „Das Unbehagen in der Kultur“ beschreibt Sigmund Freud die Kultur als notwendiges Mittel der Regelung gemeinschaftlichen Lebens und gleichermaßen als Quelle des Leidens, weil sie die Erfüllung triebhafter Bedürfnisse einschränkt und negiert. Dieses unbehagliche Dilemma zwischen natürlicher Individualität und kultureller Gesellschaft ist in den Arbeiten von Daniel Kannenberg spürbar. Vermeintliche Gegensatzpaare zwischen alltäglicher Ordnung und universellem Chaos verdichten sich auf den Bildflächen des Künstlers zu einer Einheit, die durch das kontrastreiche Zusammenspiel von Designermöbeln, afrikanischen Masken, fleckigen Tapeten oder grünen Neonröhren immer wieder absurd und ungewohnt erscheint. Daniel Kannenberg verbindet in seinen Arbeiten divergente Welten und demaskiert sie als Teil eines vielfältigen Ganzen.

CULTURAL DISCONTENTS
The work of Daniel Kannenberg

By Tina Sauerländer

Vitra meets voodoo. When Daniel Kannenberg hammers nails into a designer chair, it seems slightly absurd. Nevertheless the two worlds are closely intertwined, as ceremonies with dolls and needles as well as seating—from a ruler’s throne to an executive’s chair—talk about culture, society and their rituals. The artist arranges his paintings with objects that reflect everyday activities. In addition to chairs, carpets, wallpaper or lamps are included.

The artist fills his mostly dark, earth-toned rooms with complete views of absurdly masked figures. An animal-skulled Mies van der Rohe makes himself ostentatiously comfortable on a cantilever with cigar in hand. Daniel Kannenberg often changes the faces of his sitters, with masks often playing a key role. From African tribal dances to the Venice carnival, masks are one of the oldest and most versatile cult and cultural objects. They obscure and deny personal identity, dissolving the individual in favor of social-societal structures. They symbolize ritualized acts that human interaction within a culture arranges, as it does home decor. Masks of non-European indigenous peoples and a preoccupation with primitive art can be found in the works of cubist artists. Daniel Kannenberg has intensively worked through this. At the beginning of the 20th century, industrialized Europe’s colonialism made a glorified shift to the seemingly simple and natural lifestyle of indigenous peoples that consequently seemed to promise a happier existence.

With animal heads (not only famous heads but also found selfies from online dating sites), the artist ironically references natural instinct and raises the question as to the actual driving force of human behavior: nature or nurture? In everyday rituals, animal behavior, plant growth or even in galaxies, repetitive and similar patterns are revealed within universal, complex systems. But are such expressions just coincidental? As coffee smudges on chaotic desks? Or is there a basic formula? These are the questions Daniel Kannenberg addresses, because it is no accident that stains permeate his entire oeuvre. Searching for answers, the focus is on the light of the stars, which serves as an additional system of order in human existence since time immemorial. With the ancient Egyptian sun god Re and the concept of Christ as the light of the world, this relates to religion as well as to astronomy, from Mesopotamia to the quantum physics of Max Planck. Without stars there is no infallible orientation on the sea and no pocket calendar to structure daily life.

Everyday existence and the big picture form a sort of unity, even if it sometimes seems far-fetched and nonsensical. Daniel Kannenbergs's works play with this relationship, as it cannot always be clearly distinguished whether the light in his paintings comes from heavenly stars or earthly bulbs. Both are meant. Kannenberg’s pictorial space can also be understood as part of a system. Walls and floors serve as props from reality and depict recurring ritualistic elements of human life. Interlaced and entangled they eventually dissolve into a stained, gray-brown room. Just as dark matter, they refer to some inexplicable world beyond grasp. Not only the parts of the room but also the dissolving grid in Daniel Kannenberg’s works are regarded as comprehensible forms within an enigmatic universe. Each space reveals a unique abstract painting—and simultaneously symbolizes repeating patterns. "The grids are tied to a hope of predictability, contrary to accidents," says Daniel Kannenberg. The furnished rooms and ritualized everyday objects are also symbolic of a desire for predictability.

In his 1930 book Civilization and its Discontents Sigmund Freud describes culture as a necessary means to control community life as well as the source of suffering, because it restricts and negates the fulfillment of instinctual needs. This uneasy quandary between natural individuality and a cultural society is apparent in the works of Daniel Kannenberg. Supposed opposites such as everyday order and universal chaos condense in the artist’s images into a unity that always seems absurd and unfamiliar given the contrasting interaction of designer furniture, African masks, stained wallpaper or green neon lights. In his works Daniel Kannenberg combines divergent worlds and unmasks them as part of a diverse whole.

Translation by Jena Balton-Stier