Wolfgang Lugmair

Wo sind wir, wenn wir versunken sind? – Um den entsprechenden Ort zu finden, brauchen wir nicht um die Welt zu reisen, wie es der Ausstellungstitel sagt; an Ort und Stelle zu bleiben genügt. Versinken kann man fast überall, wenn man die dafür nötige Zeit hat. Man braucht Zeit, um versinken zu können, freie Zeit, genauer gesagt. Daran scheint es Wolfgangs Figuren nicht zu mangeln. Sie haben Zeit, viel Zeit offenbar, gehen spazieren, betrachten den Himmel, liegen rauchend auf dem Rücken oder entspannt um ein Feuer herum, blicken nachdenklich ins Leere, sitzen beschaulich am Strand und angeln oder gehen einer anderen ruhigen Freizeitbeschäftigung nach. Zeigt ein Bild ausnahmsweise jemanden an seinem Arbeitsplatz, stockt die Arbeit gerade, etwa, weil seit langem kein Kunde den Laden betreten hat und die Verkäuferin geistesabwesend zwischen ihren Waren versinkt, optisch fast mit ihnen eins wird, sich zugleich in sich zurückzieht und so aus dem Bild verschwindet.

Mit einem großen Reichtum an Zeit sind Wolfgangs Figuren demnach ausgestattet – und mit sonst nichts anderem, außer der Kleidung, die sie am Leib tragen. Sie haben praktisch nichts in der Hand (höchstens, als große Ausnahme, einmal eine Angelschnur oder ein Mobiltelefon). Fast durchwegs befinden sie sich irgendwo unter freiem Himmel – ob und wo sie ein Obdach haben, entzieht sich unsrer Kenntnis. Sie kommunizieren miteinander entweder gar nicht oder nur in sehr vagen Andeutungen. Auch keine Art von Konkur-renzkampf spielt sich zwischen ihnen ab. Ihr Gehen und Flanieren ist kein soziales Schaulaufen, ihr Sitzen, Liegen und Stehen ist kein Sich-zur-Schau-Stellen. Keine Figur will vor anderen auffallen, keine streicht sich selbst heraus und stellt andere in den Schat-ten, wirft sich selbst in Positur, um auf Kosten anderer eine gute Figur zu machen. Man sieht weder über- noch untergeordnete, weder musterhafte noch unangepasste, weder Außenseiter- noch Heldenfiguren, weder Haupt- noch Nebendarsteller, mit einem Wort: keine Hierarchien. Jede Figur ist gleich an Würde, keine kämpft um Selbstbehauptung oder gar um Dominanz. Viele sind sehr zart und schmal, beinahe nur ein „Strich in der Landschaft“. In ihrer Freiheit von Ballast, von Statussymbolen und Zielvorstellungen wirken die Figuren verletzlich, schutzlos, abgründig bezugslos – jede für sich abgesondert in dem großen gemeinsamen Bildraum, von ihrer Einzigkeit umflossen, als trüge sie ihren eigenen Raum wie einen Kokon um sich herum.

Auszug aus "Versunkene Figuren" von Ingeborg Horn, verfasst zur Ausstellungseröffnung "Wolfgang Lugmair - Nicht um die ganz Welt" am 16.11.2014 in Edenkoben

Die Malerei von Wolfgang Lugmair

Wolfgang Lugmair stellt in seinen Gemälden die Atmosphäre des Bildraums ins Zentrum. Im kleinen wie im großen Format, bilden die ländliche wie die urbane Landschaft einen ruhigen, stimmungsprägenden Hintergrund vor dem einzelne Personen oder kleinere Menschengruppen sich bewegen, spazieren, skaten, Schneebälle werfen oder eine wartende Zuschauermenge bilden. Die marginalen Aktionsszenen sind überwölbt von einer dominanten Kulisse aus Himmel, Wäldern, Bergen oder urbanen Plätzen. Es sind kaum bewegte, in ihrer Farbigkeit zurückgenommene Kompositionen, die nur in Ausnahmefällen von den bunten Mauern einer Stadt, dem Leuchten eines Lagerfeuers und den pointierten Lichtreflexen der Sonne aufgeheitert werden. Die weite Welt, offene Räume und eine in ihrer Unscheinbarkeit aufgehobene Existenz von Figuren stellen das Vokabular in der Malerei von Wolfgang Lugmair. Es ist die markante Unschärfe in Lugmairs Bildern, die den Blick des Betrachters anzieht und die Malerei zugleich auf Distanz hält. Ferne und Nähe werden als Grundschema verhandelt und aus der Weite des Hintergrundes wird der Fokus immer wieder auf die narrativen Details der Figuren gerichtet.
(Sebastian Baden)

At the heart of Wolfgang Lugmair's paintings are his representations of atmosphere. On both a small and large scale, the rural and urban landscapes form a quiet, thought-provoking background for the individuals or small groups as they wander, skate, throw snowballs, or gather together in an expectant crowd. These marginal action-scenes are initially overshadowed by the dominant backdrop of sky, forest, mountains or urban spaces. There is barely any movement within the subdued palette, which is enlivened only very occasionally by the colourful wall of a city, the glow of a campfire or the piercing reflections of the sun. The world's vastness, open spaces and the banality of existence are all present in Lugmair's artistic vocabulary. It is the striking lack of focus of the images that draws the viewer into the scene, simultaneously allowing it to remain distant. Distance and proximity are established as the basic schema for the pieces: the focus is ultimately always directed away from the endless background back to the narrative details of the figures.
(Lucy Byford)