LARA KOCH

"ANIMA" Opening: 10.09.24, 6-9pm / Artist-Talk: 13.09.24, 1pm

10. Sep – 12. Oct 2024

Opening: 10.09.24, 6-9pm
Artist-Talk: 13.09.24, 1pm


In der Galerie liegt das Wasser still.
Aus dem schwarzen See, schmal wie ein Korridor, erhebt sich der Turm eines fliegenden Schiffs.
Eine Skulptur wie ein Traum, die dem Schlaf des Wassers entkommen ist.
Im Schwarz der Spiegelung der Bogen der Eingangstür.

Schwere Segel werden leicht. Schwebend wie ein Raumschiff kreist sie im Raum. Anima.
Ein Dialog.
Schöpfend die Hand, befreiend von Schwere, fallend zurück in das Nass. Durchbricht die Stille.

Ein Moment des Innehaltens in der Bewegung. Ein Festhalten der Zeit, die sich weiterdreht.
Blumen, die nicht welken, die sich wie Scherben wieder zusammensetzen.

In Lara Kochs Ausstellung Anima werden zwei zentrale Konzepte verhandelt: Metamorphose und Verführung. Diese Begriffe markieren nicht nur eine ästhetische Strategie, sondern greifen auf tiefere, psychoanalytische und kulturhistorische Diskurse zurück. Der Titel verweist auf die Anima, jene archetypische Figur aus Carl Gustav Jungs Theorie, die als Verkörperung des Weiblichen im männlichen Unbewussten fungiert. Diese Idee der immanenten Weiblichkeit und deren transformative Kraft wird in Kochs Werk zu einer ästhetischen Chiffre, die den Betrachter einlädt, sich auf eine introspektive Reise zu begeben. Die „Anima“ ist zugleich Ursprung und Ziel, Sehnsucht und Verwirklichung, ein Zwischenraum, der die Grenzen zwischen animalischer Instinktivität und spiritueller Transzendenz verwischt.

Schon die räumliche Inszenierung der Ausstellung verstärkt diese Ambivalenzen: Die Kwadrat Galerie, mit ihrer langen, schmalen Architektur, gleicht einem Korridor der Wahrnehmung, einem liminalen Raum zwischen zwei Zuständen. Der erste Raum der Galerie ist von einem stillen, schwarzen Wasser überflutet, dessen Tiefe nur zehn Zentimeter misst, das jedoch durch seine Spiegelung eine atmosphärische Unendlichkeit suggeriert. In dieser düsteren Szenerie schwebt die Skulptur Duende, eine zentrale Arbeit der Ausstellung, die sich in den letzten Jahren einer fortwährenden Metamorphose unterzogen hat. Ursprünglich 2019 in einer kleineren Ausführung konzipiert, wird sie hier als großformatiges Werk präsentiert, das über dem Wasser zu schweben scheint.

Die Wahl des Begriffs „Duende“ ist dabei kein Zufall, sondern verweist auf eine emotionale Intensität, wie sie der spanische Dichter Federico García Lorca einst beschrieb: Es ist jene unsichtbare Kraft, die in einem Kunstwerk lebendig wird und den Betrachter in ihren Bann zieht. Für Koch verkörpert die Skulptur den Übergang von der physischen zur immateriellen Welt, eine Metamorphose, die sich auch in der Technik und Materialität der Arbeit widerspiegelt. Während die ursprüngliche Skulptur durch mechanische Zahnräder in Bewegung gesetzt wurde, erfolgt die Dynamik der neuen Duende fast organisch, getrieben von Wind oder subtilen motorischen Impulsen. Koch spricht hier von einer „Verfeinerung“, einem Prozess, in dem grobe Segelstoffe durch leichte, fast ätherische Textilien ersetzt wurden, Zahnräder durch feine Bänder. Diese Transformation ist keine bloße ästhetische Geste, sondern verweist auf ein tieferes Verständnis von Vergänglichkeit und Veränderung.

Die Künstlerin greift dabei auf eine persönliche Mythologie zurück, die sich aus ihrer Kindheit speist. Koch beschreibt wiederkehrende Träume von einer Insel, auf der sie in Gemeinschaft mit Tieren lebte – eine symbolische Flucht aus der Realität in eine Welt der Geborgenheit und Unschuld. Diese imaginierte Insel, die lange als Ziel ihrer Reise diente, ist inzwischen einem unendlichen Ozean gewichen, einer offenen, ungewissen Zukunft, die sich erst noch formen muss. Hier liegt die zentrale Ambivalenz von Kochs Werk: Die Verheißung der Ankunft, die Sehnsucht nach einem klaren Ziel, wird durch die Erfahrung der Unbestimmtheit und der ständigen Transformation ersetzt. In Anima ist der Prozess der Verwandlung nie abgeschlossen, sondern bleibt eine sich stets neu entfaltende Bewegung.

Besonders bemerkenswert ist der Umgang mit der Temporalität in Kochs Arbeiten. Die Ausstellung setzt sich explizit mit der Frage von Zeit und Entwicklung auseinander, nicht nur in der Form der Metamorphose der Skulpturen, sondern auch in der performativen Geste des Übergangs. Die Reise über das Wasser, die Spiegelung der Figuren darin, die beinahe schwerelose Bewegung der Skulptur – all dies sind Metaphern für die sinnliche und zugleich geistige Erkundung der Weiblichkeit, die Koch in ihren Werken ins Zentrum stellt. Die Symbolik ist klar: Die Füße laufen über das Wasser, die Hände schöpfen daraus – eine poetische Referenz an den menschlichen Körper als Instrument der Erkundung und Erkenntnis.

Doch diese narrative Struktur bleibt offen, unvollendet. Es ist keine Geschichte, die zu einem klaren Ende geführt wird, sondern vielmehr ein fortlaufender Prozess der Transformation und der Selbstfindung. Koch selbst beschreibt ihre Kunst als einen Dialog zwischen persönlicher Erfahrung und kollektiver Symbolik. In Anima geht es weniger um definitive Antworten als um die Offenheit gegenüber Veränderung und die ständige Suche nach neuen Formen des Ausdrucks.

Was zunächst als technischer Fortschritt erscheint – die Verfeinerung der Mechanik, die Transformation der Materialien – ist in Wahrheit eine tiefere, philosophische Auseinandersetzung mit den Themen Zeit, Raum und Identität. Kochs Arbeiten sind durchdrungen von einer Emotionalität, die sich nicht in klaren Formen oder eindeutigen Bedeutungen erschöpft, sondern sich im Unbestimmten, im Prozessualen manifestiert. Sie nimmt den Betrachter mit auf eine Reise, deren Ziel nicht vorgegeben ist, sondern sich in der ständigen Bewegung entfaltet – eine Reise, die letztlich auch eine Erkundung der eigenen inneren Anima ist.

(Text: Lou von der Heyde)